Leben mit Long COVID – was bedeutet das? | Tagebuch einer Betroffenen | Altea

Leben mit Long COVID – was bedeutet das? | Tagebuch einer Betroffenen | Altea

Leben mit Long COVID – wie fühlt sich das an? Annette Scholer gibt Einblicke in ihr «Leben mit Mr. Long» und die Hochs und Tiefs, die der Alltag bereithält.

Unter dem Titel «Mein Leben mit Mr. Long» veröffentlicht Altea in loser Folge Einträge aus dem Long-COVID-Tagebuch von Annette Scholer. Ihre Erkrankung beschreibt Annette Scholer metaphorisch als «Mr. Long», mit dem sie nun zusammenleben muss. Bereits erschienen: Teil 1.

«Mr. Long und ich, wir sind nun seit 3 Monaten ein «Dreamteam»: Wir sind quasi unzertrennlich. Es gibt Zeiten, in denen Mr. Long sehr, wirklich seeehr tolerant ist. Dann habe ich meine Höhenflüge, und es ist fast so wie früher.

Doch er kann auch anders. Besonders brutal war es an dem Tag, als wir mit der ganzen Familie das Geburtstagsessen meiner Mutter nachholen wollten. Am Morgen lief alles noch wie am Schnürchen, ich konnte ein kleines Fitnessprogramm absolvieren. Doch danach ging es los. Leider kam der Waschmaschinenmonteur zu früh, und ich hatte mit der Zubereitung des Mittagessens aus meiner Sicht etwas viel zu tun. Doch für Mr. Long war das VIEL zu viel. Er zog knallhart die Handbremse – so sehr, dass es mich direkt aufs Sofa knallte. Es ging nichts, aber auch wirklich gar nichts mehr. Flach wie eine Flunder lag ich da. Was nun? Um 18 Uhr sollte ich geputzt und gestriegelt dastehen. Mr. Long lachte sich nur ins Fäustchen. «Hättest du wohl so gedacht», meinte er.»

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Annette Scholer, die im Dezember 2021 an COVID-19 erkrankte, führt Tagebuch über ihr neues Leben mit «Mr. Long». (Bild: privat)

«Erschlagen lag ich da, und die Tränen flossen nur noch. Vor Erschöpfung? Oder Wut? Musste ich wirklich absagen? Ich hatte mich doch so auf den Abend gefreut. Also fing ich an, mit Mr. Long zu verhandeln. Nach längerer innerer Diskussion lenkte er ein und liess mich halb lebendig zu diesem Essen gehen.

Es ging eigentlich ganz gut. Doch nach nicht einmal zwei Stunden klopfte er leise an und meinte, ich solle mich nun auf den Weg machen. Dabei sass man gerade so nett beieinander! Doch Mr. Long liess mich bald ziemlich alt aussehen. «Nur nicht vor lauter Müdigkeit und Erschöpfung das Gesicht in die Pommes knallen», dachte ich.

Also noch schnell das Dessert runterschlingen und Mr. Long ein wenig bei Laune halten. Dann ein ganz vom Essen erschöpftes Gesicht machen und mit einem Blick auf die Uhr erwähnen, dass um 21 Uhr Feierabend sei. Zum Glück sehen alle ein, dass es Zeit zu gehen ist. Der Höllenritt nach Hause gibt mir danach fast den Rest. Ich schleppe mich noch knapp ins Bett und bleibe nur noch liegen.»

«Am folgenden Wochenende hatte Mr. Long frei – ich konnte fast schon durchstarten!»

«Tja: So gemein kann Mr. Long sein. Doch am folgenden Wochenende hatte er frei. Ich konnte schon fast durchstarten! Ich genoss diese Auszeit von ihm in vollen Zügen, mit viel spazieren, Pause machen und die Natur geniessen.

Am Montag war Mr. Long dann leider wieder im Dienst. Am Morgen ging noch alles gut, bis zu einem wichtigen Termin. Kurz davor ging gar nichts mehr: Kribbeln in Armen und Beinen, Kurzatmigkeit – ausgebremst und stimmlos sass ich so im Auto und wartete auf bessere Zeiten. Doch die kamen seeeehr laaaange nicht.

Erst nach über einer Stunde schoss mir wieder das Blut in Arme und Beine und ich schaffte es, zu meinem Termin zu kommen. Danach ass ich etwas Kleines und wartete auf meinen Freund. Langsam wie eine Schnecke schlich in mit ihm durch die Gänge des Einkaufladens und schaffte es dann ins Auto. In trauter Zweisamkeit, voll romantisch im Parkhaus, warteten wir auf meinen nächsten Höhenflug. Nach einiger Zeit spürte ich, dass die Energie zurückkam und ich den Weg nach Hause angehen konnte.»

«Mr. Long verträgt Lärm und Durcheinanderreden überhaupt nicht.»

«Die nächsten Tage liess mich Mr. Long in Ruhe. Erst freitags kam er wieder auf die Matte. Gerne wäre ich an die Sitzung der Samariter gegangen und geblieben. Doch Mr. Long wollte nur ein gratis Nachtessen und danach so schnell wie möglich wieder einen Abgang machen. Er verträgt den Lärm des Redens, noch schlimmer das Durcheinanderreden, überhaupt nicht gut. Mit Müh und Not konnte ich verhindern, dass das Risotto mein Gesicht verzierte.

Also verabschiedete ich mich stimmlos und mehr oder weniger auf Französisch. Draussen wartete ich zuerst auf dem Brunnenrand und dann im Auto auf eine günstige Gelegenheit, wieder heimzukommen. Nach einer halben Stunde ging es dann und ich fuhr ohne Probleme zurück.»

 

«Eigentlich hat Mr. Long auch viel Gutes. Ab und zu finde ich ihn ganz nett.»

«Nun war wieder Pause machen angesagt. Als ich ins Bett wollte, fand Mr. Long, ich könnte eine neue Geschichte über ihn schreiben. Ich glaube fast, er steht darauf! Ich war hellwach und musste mich wohl oder übel an den PC setzen, um diese Story zu schreiben.

Vielleicht kommen wir mal gross heraus, dann hätte dies auch sein Gutes. Nein, eigentlich hat Mr. Long viel Gutes. Er bremst mich und zwingt mich, zur Ruhe zu kommen und nicht zu viel an morgen zu denken. Ja, ich finde ihn ab und zu ganz nett, meinen Mr. Long.»

» Teil 1