Long COVID: Eine nicht endende Suche nach Verständnis und Unterstützung

Long COVID: Eine nicht endende Suche nach Verständnis und Unterstützung

Als junge Mutter mit Long COVID stellt sich Noemi Khediry täglich dem Spagat zwischen dringend nötigen Ruhephasen und dem Anspruch für ihre Familie da zu sein. Die fehlende Unterstützung durch das Gesundheitssystem erschwert diese Aufgabe unnötig.

Noemi Khediry’s Erkrankung begann im Januar 2022 mit einem eher milden COVID-19 Verlauf. Von den akuten Symptomen durch die SARS-CoV-2 Infektion erholte sie sich vermeintlich schnell. Erst einige Wochen später, im März 2022 erlitt sei einen totalen Einbruch. Zunächst verspürte sie einen leichten Schwindel, der eine Woche lang anhielt. Eine Abklärung im Spital brachte keine Ergebnisse.  

Während sie aufgrund eines Engpasses im Restaurant ihres Mannes beim Servieren aushalf, wurde dieses Schwindelgefühl immer stärker. Im Laufe des Abends kamen Kopfschmerzen und Übelkeit hinzu woraufhin Noemi sich hinlegen musste. Zuletzt war der Schwindel so stark, dass sich selbst im Liegen alles nur noch drehte und sie nicht mehr in der Lage war aufzustehen. Sie fühlte sich extrem hilflos und war verängstigt, weil sie nicht verstehen konnte, was mit ihr passiert, woher dieser extreme Schwindel kam und sich Sorgen machte, wie es weiter geht. Auch als alle Gäste weg waren, konnte Noemi nicht aufstehen, sie wurde in die Notfallambulanz gebracht und es folgte ein 12-tägier Spitalaufenthalt.

 

Der mühsame Weg zur Diagnose

Sie war permanent im Bett, hatte starke Kopfschmerzen, war appetitlos und stets begleitet vom anhaltenden Schwindelgefühl. Selbst für den Gang zur Toilette war Noemi auf eine Gehhilfe angewiesen und auch mit Unterstützung konnte sie nur wenige Schritte gehen. In aufrechter Position war der Schwindel kaum auszuhalten und sogar im Liegen hielt dieser an. Nach umfassenden Abklärungen im Spital und einigen beunruhigenden Verdachtsstellungen, von Hirnhautentzündung bis Blutgerinnsel im Hirn wurde die Diagnose Burn-Out gestellt.  Die Unsicherheit während der Untersuchungen und die verschiedenen Verdachtsstellungen waren eine starke zusätzliche Belastung. In Folge der Burn-out Diagnose wurde eine psychiatrische Behandlung und Physiotherapie angeordnet.

Ein Antrag für eine Reha wurde von der Krankenkasse abgelehnt, so dass Noemi nach 12 Tagen Aufenthalt im Spital ohne jegliche Besserung ihrer Symptome entlassen wurde. Noemi war verzweifelt, dass sie keine Hilfe vom Spital erhalten hatte und wusste nicht, wie es weiter gehen soll. Sie war kaum in der Lage sich selbst zu versorgen, geschweige denn ihre Kinder und ihr Mann musste über den Tag arbeiten. Eine Unterstützung via Spitex wurde ihr zwar zugesprochen, diese kam jedoch erst ca. 2-3 Wochen nachdem Noemi aus dem Spital entlassen wurde, in der Zwischenzeit war Noemi tagsüber auf sich allein gestellt und auf die Unterstützung ihrer Familie angewiesen.

Erst ihre Physiotherapeutin erkannte, dass es sich bei Noemi nicht um einen Burn-Out handeln kann, sondern vermutlich um Long COVID. Ihr Hausarzt verweist sie infolgedessen an die Long COVID Sprechstunde, wo sie jedoch ein halbes Jahr auf einen Termin warten musste. Auf eigene Verantwortung passte Noemis Physiotherapeutin derweil die Therapie schon an. Erst im Februar 2023 wurde sie endlich aufgenommen und erhielt die eindeutige Diagnose: Long COVID.

 

Noemi probiert zahlreiche Therapien aus

Im Verlauf der Long COVID Erkrankung tauchten verschiedene Symptome auf, am häufigsten sind Wortfindungsstörungen, kognitive Einschränkungen, anhaltender Schwindel, Kopfschmerzen, Tinnitus, Muskelausfälle in den Beinen, eine ständige Reizüberflutung sowie die Belastungsintoleranz und Fatigue. Durch die fehlende Unterstützung und die nicht besser werdenden Symptome befindet man sich permanent in einer Abwärtsspirale.

Der Schwindel geht mit Angst einher, dass man umfallen könnte und begleitet einen den ganzen Tag über. Ebenso die Kopfschmerzen, welche öfter auch zu Übelkeit führen. Man ist nie ausgeschlafen und kann/möchte weniger unternehmen. Die Reizüberflutung, durch die manchmal selbst einfache Gespräche oder die Fahrt zur Physiotherapie unerträglich werden, erschwert den Alltag.

Bis zu ihrem Termin bei der Long COVID Sprechstunde war Noemi gezwungen in Eigeninitiative zahlreiche Behandlungen auszuprobieren, von Physiotherapie und Craniosacral-Therapie, über traditionelle chinesische Medizin (TCM) und Akupunktur zu Ergotherapie, Nahrungsergänzungsmittel jeglicher Art und verschiedenen Medikamenten gegen die chronischen Kopfschmerzen hat sie alles versucht.

«Man fühlt sich verloren, niemand hilft einem. Man muss sich permanent selbst Hilfe suchen – besonders für Long COVID Betroffene ist das unfassbar anstrengend.»

Während manche Therapieversuche eine leichte Besserung brachten, führten andere zu einem Crash. Nach der Umstellung auf ein neues Medikament gegen Schmerzen wurde sie durch einen Crash eine Woche ans Bett gebunden. Eine Stellatumblockade im Sommer 2023 verursachte bei Noemi einen derartig starken Crash, dass sie sich auch heute, 2 Monate nach dem Eingriff, noch nicht davon erholt hat. Aktuell ist sie für maximal 2 Stunden am Tag auf den Beinen.

Solche Crashs nach neuen Therapieansätzen oder vermeintlich leichten Infektionen, musste Noemi in den letzten Monaten zahlreiche durchmachen. Währenddessen ist sie kaum in der Lage aufzustehen, so dass sie die meiste Zeit im Liegen verbringen muss. Damit ist Noemi mit Anfang 30 immer wieder wochenlang für fast alles auf Hilfe angewiesen. Trotz dieser Rückschläge optimistisch zu bleiben ist eine grosse Herausforderung. Hart erkämpfte minimale Verbesserungen werden durch einen Crash innerhalb kürzester Zeit wie weggewischt und man steht wieder am Anfang.

Obwohl die Kraft dafür kaum ausreicht, ist man als Long COVID Betroffene immer wieder dazu gezwungen, aus eigener Initiative neue Behandlungen auszuprobieren und diese auch selbstständig zu finanzieren, da die Krankenkasse viele Behandlungen nicht übernimmt. Man fühlt sich schnell vom Gesundheitssystem im Stich gelassen, obwohl man doch in einem so wohlhabenden Land wie der Schweiz wohnt.

In der Long COVID Sprechstunde fühlte sich Noemi schliesslich gut aufgehoben, hier schienen ihre Probleme zumindest verstanden zu werden. Auch jetzt wendet sie sich, wenn Fragen aufkommen, an die Sprechstunde, das gibt ihr Rückhalt. Dennoch kam diese Unterstützung extrem spät und ihre gesundheitliche Situation hat sich seither trotzdem nicht merklich verbessert.

 

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Mit Unterstützung ihrer Kinder und ihres Partners bleibt Noemi optimistisch.

 

Ohne die enorme Unterstützung durch ihren Mann wäre der Alltag für Noemi kaum zu bewältigen. In einem Haushalt mit zwei Kindern (9 und 5 Jahre alt) findet man nur schwer die Ruhe, die für Long COVID Betroffene so essenziell ist. Doch sowohl ihr Mann als auch ihre Kinder unterstützen Noemi, wo sie nur können, zeigen Verständnis und machen ihr niemals Vorwürfe.

Über diesen Rückhalt ist sie unendlich dankbar und doch schwingt gleichzeitig auch ein schlechtes Gewissen mit, wenn man den gesamten Haushalt und die vielen kleinen Alltagstätigkeiten alle abgeben muss, nicht mehr arbeiten kann und so stark vom engeren Umfeld abhängig ist. Auto fahren kann Noemi seit ihrer Erkrankung praktisch nicht mehr, da es zu viel Energie beansprucht. Dass sie immer auf Hilfe angewiesen ist, bedrückt Noemi sehr, da sie niemandem zur Last fallen möchte. Diese Hilflosigkeit zu akzeptieren ist äusserst hart für eine gewohnt selbstständige Frau.

Auch für die Unterstützung durch ihre Familie, zum Beispiel indem sie in besonders schlechten Phasen auf die Kinder aufpassen, ist Noemi sehr dankbar. Vor allem, da sie weiss, welche grosse Belastung es bedeutet, jemanden den man liebt leiden zu sehen. Besonders ihr Mann hat stark darunter gelitten, seine Frau in einem derart schlechten Zustand zu sehen.

Insgesamt fühlt man sich als Betroffene jedoch oft allein gelassen. Es fehlt häufig an Verständnis und Vorstellungskraft und viel zu oft bekommt man zu hören, dass einem nicht geholfen werden kann. Noemi musste in den letzten 1.5 Jahren feststellen, dass das Interesse schnell schwindet, wenn man plötzlich am gesellschaftlichen Leben nicht mehr teilnehmen kann.

Für viele Menschen ist es schwierig mit der Situation umzugehen und die nötige Geduld aufzubringen. Andere sind schlicht nicht bereit ihre Freizeit nicht mit jemandem zu verbringen, dessen Energielevel häufig nicht ausreicht, um das Haus zu verlassen oder längere Gespräche zu führen. Diese Einbussen in ihrer Lebensqualität sind ungemein traurig und werfen die Frage auf, ob es jemals wieder besser werden wird.

Auch die finanzielle Belastung durch ihre Arbeitsunfähigkeit, die jetzt schon 1.5 Jahre anhält, belastet Noemi stark. Dass es immer noch Menschen gibt, die anzweifeln, dass die Beschwerden von Long COVID Betroffenen real sind, ist für Noemi unerklärlich.

«Jeder, dem es so schlecht geht, ist bereit alles zu investieren für eine Verbesserung.»

Ein durch die Long COVID Sprechstunde, geplanter Reha Aufenthalt wurde erneut von der Krankenkasse abgelehnt. Diese Entscheidung bestätigt Noemis ernüchternde Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem und zeigt, dass sie als Long COVID Patientin weiter allein gelassen wird. Statt der Reha wurde Noemi nahegelegt, mehr ambulante Therapien in Anspruch zu nehmen, was sie nun auch verfolgt. Von der Reha hatte sie sich erhofft, endlich in einer Umgebung zu sein, wo ihre Symptome ernstgenommen und verstanden werden. Noemi erwartet mittlerweile nicht mehr, dass sie ihren Zustand vor ihrer COVID-19-Erkrankung wieder erreichen kann.

Als nächstes möchte Noemi eine IHHT-Therapie ausprobieren, unter der Hoffnung, dass diese Therapie ihr helfen könnte. Leider stellt das auch gleich die nächste Herausforderung dar, da die Kosten der Therapie von der Krankenkasse nicht übernommen werden.

Sie hofft irgendwann wieder in der Lage zu sein ihren Alltag zu meistern und sich dabei auf einen stabilen Gesundheitszustand verlassen zu können. Sie war immer sehr aktiv, neben ihrer Arbeit als Leiterin von Computerkursen und den Aufgaben als Mutter von 2 Kindern, machte sie viel Sport, z. B. im Fitnessstudio oder beim Velofahren. Diese Hobbies und ihr Job, den sie sehr gerne ausgeübt hat, wurden ihr durch die Krankheit genommen.

Diese Diskrepanz, dass man von einem Moment zum anderen von einer funktionierenden, arbeitenden, aktiven, jungen Frau derart hilfsbedürftig wird, zu verstehen und zu verarbeiten ist eine enorme Herausforderung. Erschwert wird dieser Prozess noch durch die grosse Unsicherheit ob es irgendwann wieder besser.

 

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Vor Long COVID war Noemi begeisterte Velofahrerin.

 

Trotz der häufigen Rückschläge, der finanziellen und gesundheitlichen Unsicherheit hält Noemi an ihrer Hoffnung fest. Wichtig ist ihr, mit ihrer Erfahrung zu zeigen, welche substanziellen Auswirkungen Long COVID auf das Leben der Betroffenen hat, wie schlimm die Krankheit ist und wie wichtig es ist Betroffene ernst zu nehmen und zu unterstützen.

Auch wenn es manchmal schwer erscheint kleine Verbesserungen davon zu unterscheiden, dass man sich schlicht an den Zustand gewöhnt, bleibt Noemi optimistisch. Sie ist überzeugt, dass sich ihr Zustand verbessern wird. Dabei hilft vor allem zu sehen, wie verständnisvoll ihre Kinder und ihr Mann mit der Situation umgehen. Sie ist extrem dankbar für die Unterstützung ihres Partners und dafür, dass ihre Ehe diese schwierige Phase nun schon seit mehr als 1.5 Jahren aushält. Noemis Schlusswort an andere Betroffene ist:

«Auch wenn es sehr schwierig ist, was ich sehr gut verstehe, da ich das Ganze auch durchmache – es braucht seine Zeit, aber es wird besser! Auch wenn es nur kleine Schritte sind, an diesen müssen wir uns festhalten, dann wird es irgendwann wieder besser kommen.»