«Meine Handorgel zeigt mir meine Grenzen, gibt aber auch Kraft.»

«Meine Handorgel zeigt mir meine Grenzen, gibt aber auch Kraft.»

Ein Klinik-Aufenthalt hat Esther Ebnöther Linderung gebracht. Bezahlt hat sie ihn vorerst selbst, um nicht weitere Rückschläge im Genesungsverlauf einzustecken.

«Nach einem weiteren Rückfall war ich an einem Punkt, an dem der Spagat zwischen den Beschwerden durch Long COVID und meinem Job im bereits reduzierten Pensum nicht mehr tragbar war.» So erklärt Esther Ebnöther, warum sie sich 5 Monate nach ihrer COVID-Infektion einen Aufenthalt im «Clinicum Alpinum» organisierte, obwohl sie diesen vorerst selbst bezahlen muss. Denn die Krankenkasse hatte eine Kur in einer Davoser Klinik nicht bewilligt. Doch der Leidensdruck war zu gross. Anfang März konnte sie schliesslich eine vierwöchige Kur starten. 

Grosse Fortschritte gemacht 

Der Aufenthalt in der Klinik war wie Balsam für Esther Ebnöther: Bewusste Ernährung, auf COVID abgestimmte Phyto- und Aromatherapeutika, Inhalationen, Massagen, viel Bewegung in der Natur und der Austausch mit anderen Betroffenen zeigten bei ihr Wirkung, wie sie erleichtert erzählt. «Insbesondere die Müdigkeit hat frappant nachgelassen», sagt Esther Ebnöther. Und sie lernte, Antworten auf «dumme Fragen» zu finden. Den eigenen Zustand, die eigene Situation immer wieder erklären oder gar rechtfertigen zu müssen, belastet auf Dauer.

Grosse Leidenschaft: Esther Ebnöther spielt seit Jahrzehnten ambitioniert Handorgel. (Bild: privat)

Rückblende: Ende September 2020, die Schweiz schwingt immer noch im lockeren Gefühl des Sommers, bevor im Oktober die zweite Welle zuschlägt. Esther Ebnöther, die leidenschaftlich und ambitioniert Handorgel spielt, besucht ein Jodelkonzert. Doch einzelne Mitwirkende waren infiziert, viele im Saal stecken sich an. So auch Esther Ebnöther. 

Ein ganzer Strauss von Symptomen 

Heftige Gliederschmerzen wurden abgelöst durch langanhaltendes Fieber, Kopf- und Nackenschmerzen sowie eine bleischwere Müdigkeit, die Esther Ebnöther ins Bett zwang. Die nächsten Symptome erschienen und verschwanden abwechselnd: Husten, Durchfall, Haarausfall, Hautausschlag und eine bedrückende Erschöpfung quälten die 52-Jährige. Am Schluss kamen Augenprobleme und ein Taubheitsgefühl im linken Arm und in den Händen dazu.

«Ich konnte meinen Unterarm kneifen, wie ich wollte, ich spürte überhaupt nichts. Auch die Fingerkuppen waren gefühlslos.»

Es folgten diverse medizinische Abklärungen. Die neurologischen Symptome wurden immer belastender. «Nach zwei bis drei Stunden am Bildschirm schmerzten die Augen und der Schwindel wurde immer intensiver, so dass ich nicht mehr weiterarbeiten konnte», erzählt Esther Ebnöther. Brainfog und Wortfindungsstörungen verunmöglichten ein normales Arbeitspensum.

«Wenn ich müde bin, wird aus ‹Bücherregal› plötzlich ‹Regalbücher›.»

«Mein direktes Umfeld zeigte viel Verständnis für meinen Zustand», sagt Esther Ebnöther. Trotzdem, einige Bemerkungen von Personen, die kaum Kenntnisse über Long COVID haben, schmerzten. «Es macht mich nachdenklich» sagt Ebnöther, «wenn jemand sagt, er sei auch manchmal müde, das sei sicher das Alter oder im schlimmsten Fall schieben sie es einem Burnout zu oder machen das 5G-Netz für die Symptome verantwortlich.»

Entspannung: Esther Ebnöther mit Lebenspartner Hans Nauer am Bodensee. (Bild: privat)

Heute ist Esther Ebnöthers grösste Sorge, dass die neurologischen Einschränkungen noch länger andauern könnten und sie kognitiv nicht mehr belastbar wäre. Sie befürchtet, ihrer Arbeit als Schulverwaltungsleiterin nicht mehr gleich gut nachgehen zu können, und auch ihr grosses Hobby, das Handörgelen, ist betroffen. 

«Ich muss mich heute viel stärker konzentrieren, damit die Finger machen, was ich will», erzählt Esther Ebnöther. «Tänze, die ich seit 30 Jahren spiele, gelingen mir recht gut. Um neue Musikstücke einzustudieren, brauche ich aber viel Geduld. Das Zusammenspiel zwischen Kopf und Finger verlangt deutlich mehr Konzentration.»

«Es gibt einen Hoffnungsschimmer. In kleinen Schritten geht es vorwärts.»

Der Klinik-Aufenthalt tat Esther Ebnöther nicht nur wegen den Therapien gut. «Es war sehr bereichernd, sich auch mit anderen Betroffenen auszutauschen.» Die Ernüchterung darüber, dass die Heilung sehr viel Zeit brauche, könne sie inzwischen akzeptieren. «Jetzt kann ich meine Situation auch besser kommunizieren, auf der Arbeit und in meinem Umfeld.» 

Hoffnung Krankenkasse 

So gut der Aufenthalt in der Klinik getan hat, er belastet Esther Ebnöthers Haushaltsbudget stark. Sie hat deshalb bei ihrer Krankenkasse ein Wiedererwägungsgesuch eingereicht und hofft jetzt auf einen positiven Entscheid.