Über Nacht ein anderer Mensch nach Corona-Infektion

Über Nacht ein anderer Mensch nach Corona-Infektion

Zuerst war es die Tomatensauce, die nach nichts schmeckte. Heute ist es die Vergesslichkeit, die Sandra Bigai beim Kochen zu schaffen macht – und nicht nur dort.

Nur einen Tag, nachdem der Bundesrat im Frühling 2020 die «ausserordentliche Lage» ausgerufen hatte, verspürte Sandra Bigai einen trockenen Husten und eine ungewöhnliche Übelkeit. An COVID-19 dachte die Kommunikationsfachfrau im Gesundheitsbereich nicht; sie fragte sich bloss, ob sie sich irgendwo erkältet oder durch die Hektik im Krisenstab ihrer Stiftung etwas überarbeitet hatte. 

Taube Nase beim Kochen 

Als sie beim Kochen am Radio eine Krankenpflegerin hörte, die Geruchsverlust als ein typisches Symptom der damals noch mysteriösen neuen Erkrankung beschrieb, wurde Sandra Bigai auf einen Schlag bewusst, dass sie die Tomatensauce in der Pfanne vor ihr gar nicht riechen konnte. Also machte sie einen Test: positiv. Als der Anruf des Kantonsspitals kam, wurde Sandra Bigai schmerzhaft bewusst, dass es keine Behandlung gibt. Sie hatte nur Dafalgan, um Fieber zu bekämpfen.

Beim Kochen fiel Sandra Bigai zum ersten Mal auf, dass sie nichts mehr roch. (Bild: privat)

«In der Nacht hatte ich plötzlich das Gefühl, dass mein Brustkorb wie in einer Knetmaschine zusammengepresst wurde,» erinnert sich Sandra Bigai. In der Folge plagten sie vermehrt Übelkeit und immer stärkere Gliederschmerzen. Nach 10 Tagen war zwar ihre Quarantäne beendet, ihrer Symptome hielten jedoch weiter an.

«Es fühlt sich an, als ob ich dauernd meine Reserven anzapfen müsste, während sich mein Akku nicht mehr aufladen lässt.»

Als sie einige Wochen später wegen Arthroseschmerzen im Knie nicht mehr gehen konnte, suchte sie eine Rheumatologin auf. Diese sah keinen Zusammenhang zwischen der COVID-19-Erkrankung und den rheumatischen Schmerzen im Knie und im Oberkörper. Doch eine Behandlung der Gelenk- und Muskelschmerzen mit hochdosiertem Kortison und einer Reihe von Schmerzmitteln brachte nicht den gewünschten Erfolg.

Spaziergänge in der Natur sind Lichtblicke im Alltag, wenn sie möglich sind. (Bild: privat)

Auch noch über ein Jahr nach der Infektion treiben sie ihre Beschwerden mitunter an den Rand der Verzweiflung. Weitere gesundheitliche Abklärungen sind anstrengend, mit der Versicherung muss sie sich herumschlagen, obwohl ihr Arbeitgeber ihre Erkrankung als Berufsunfall taxiert hat, und weiterhin plagen sie wandernde Schmerzen. Dazu kommen Konzentrationsprobleme, Gedächtnislücken und Erschöpfung. 

«Beim Kochen vergesse ich immer wieder gewohnte Abläufe und frage mich, was als nächstes zu tun ist, obwohl ich die Rezepte eigentlich auswendig kann,» erzählt Sandra Bigai. Ihr Geruchssinn ist zwar nach drei Monaten wieder zurückgekehrt, aber die anderen Beschwerden sind eher stärker geworden.

«Ich erzähle den Ärzten immer wieder dieselbe Geschichte. Antworten auf meine Fragen habe ich bis jetzt keine erhalten.»

Sandra Bigai erkennt sich oft selbst nicht mehr. «Ich bin ängstlicher, oft vergesslich, und mein Tank ist immer leer», erklärt sie. «Es fühlt sich an, wie wenn ich permanent meine Reserven anzapfen müsste, und sich gleichzeitig mein Akku gar nicht mehr aufladen lässt.» Am schwierigsten ist es für sie, ihren jetzigen Zustand zu akzeptieren. «Es fällt mir schwer zu vergessen, was vorher war und dass man quasi über Nacht ein anderer Mensch wird.» 

Endlich jemand, der wirklich zuhört 

Da sich Sandra Bigai nicht nur von der Schulmedizin Antworten erhofft, hat sie sich auch an eine Naturheilärztin gewandt. Auch wenn sie nicht alle alternativen Ansätze uneingeschränkt befürwortet, so hatte Sandra Bigai bei ihr zumindest erstmals das Gefühl, dass sie sich Zeit genommen hat zuzuhören, und dass sie ihren Körper als Ganzes wahrgenommen und in die Behandlung einbezogen hat. Das Vertrauensverhältnis sei sehr wichtig. «Sonst sollte man besser den Arzt wechseln.»